Kann man als Nicht-Muttersprachler die berüchtigte Adjektivdeklination überhaupt lernen? Und zwar wie?
Die „Adjektivdeklination“, das Schema der Formen von Artikelwörtern und Adjektiven in der Nomengruppe, ist lernbar. Dafür sind nicht nur deutsche Muttersprachler ein (etwas unfairer) Beweis, sondern auch die paar Deutschlernenden, die es tatsächlich geschafft haben.
Was aber nicht bedeutet, dass die Adjektivdeklination in der Form lernbar ist, in der sie gewöhnlich präsentiert wird. Nämlich in drei Tabellen, einer für den bestimmten, einer für den unbestimmten und einer für den Nullartikel, ingesamt ein paar Dutzend Tabellenkästchen. Die Behandlung der Adjektivdeklination ist einer der traurigsten Beweise für die methodische Einfalt und Gedankenlosigkeit der heute praktizierten DaF-Didaktik.
Mit den Adjektiven fängt man erst dann an, wenn die Artikelwörter und die Präpositionen gut sitzen, nicht früher. Und dann versucht man besser nicht, die Endungskombinationen aus drei Tabellen mit 48 Feldern alle auf einmal zu lernen. Man beschränkt sich zunächst auf nur zwei Kombinationsmöglichkeiten, nämlich die beim Dativ Singular: -m-n- vor Maskulina und Neutra, -r-n vor Feminina. Damit deckt man vielleicht schon ein Drittel (vielleicht bloß ein Viertel, aber immerhin) der Formen im laufenden Text ab. Beispiele:
in einem schönen Wald
in einer alten Kirche
mit meinem alten Fahrrad
mit diesem schnellen Auto
bei meiner besten Freundin
zu meinem alten Freund
in der ersten Reihe
auf der linken Seite
im zweiten Absatz
im dritten Stock
in der sechsten Etage
am zwölften November
an meinem achtzehnten Geburtstag
im Großen und Ganzen
im schlimmsten Fall
…
Sie sehen sicher, dass man mit diesem Singular-Dativ mit Adjektiv wirklich sehr viel anfangen kann. Und wenn man mit diesen relativ einfachen Formen gut zurechtkommt, hat man schon ein ganz gutes Gefühl für das Zusammenspiel der beiden Endungen bekommen. So überwindet man die Angst vorm Adjektiv. Viele Lernende verwenden ja, eben wegen der Vielzahl möglicher Endungs-Kombinationen, am liebsten überhaupt keine Adjektive, oder nur prädikative außerhalb der Nomengruppe (Anna ist schön).
Wenn man sich also zuerst für einige Zeit auf die einfachen Dativsingular-Konstruktionen konzentriert und es dann schafft, diese Nomengruppen in der freien Rede wenigstens gelegentlich korrekt zu verwenden, wird man auch mit den anderen keine großen Schwierigkeiten mehr haben.
Als Nächstes kommt der Akkusativ. Artikelwort und Adjektiv bei Maskulina immer -n-n: den alten Mann, einen kleinen Spaziergang, diesen leckeren Kuchen. Bei Feminina immer -e-e: die alte Frau, eine lange Reise, diese leckere Torte … Und jetzt die Neutra, bei denen das eigentliche Problem der Adjektivdeklination sichtbar wird, nämlich die unterschiedlichen Formen nach bestimmtem und nach unbestimmtem Artikel: das kleine Kind, ein kleines Kind.
Das Prinzip, nach dem hier die Endungen zugeteilt werden, ist ja sicher bekannt, aber hier wird tatsächlich die Anwendung schwierig. Lassen Sie sich Zeit damit. Wenn es dann klappt, üben Sie als Letztes den Nominativ, bei dem dieses Problem ja auch bei den Maskulina auftritt: der alte Mann, ein alter Mann. Der Nominativ ist also am schwierigsten. Sicher aus diesem Grund, also nach dem Motto „Das Schwierigste zuerst“, fangen die meisten Lehrbücher mit dem Nominativ an. Wir sind schlauer und fangen mit dem Dativ an.
Voraussetzung für die richtige Verwendung der Adjektive in Nomengruppen ist, dass man schnell erkennt, was Artikelwort und was Adjektiv ist. Man muss den Anwendungsfall schnell identifizieren können, sonst nützt die beste Regel nichts. Also machen Sie sich immer wieder klar, was Artikelwort, eventuell mit der Präposition verschmolzen, und was Adjektiv ist. Analysieren Sie dazu die Dativ-Beispiele oben.
Die beste und übersichtlichste Darstellung der Gesamtsystems ist meiner Meinung nach immer noch meine eigene, die Sie hier finden: Adjektivdeklination.