Muss man „viel sprechen“?

Über eine fragwürdige Empfehlung für Deutschlernende.

Hat man Ihnen schon mal gesagt, dass Sie viel sprechen sollen, wenn Sie schnell und gut Deutsch lernen wollen? Wahrscheinlich nicht nur einmal, und auch nicht nur im Unterricht; wahrscheinlich wussten Sie’s sogar schon selbst, bevor Sie es zum ersten Mal von anderen vernommen haben. Aber muss es deshalb richtig sein?

Gibt es nicht zum Beispiel Menschen, die einerseits viel, andererseits aber ziemlich schlecht sprechen? Die also zwar schon lange in der Fremdsprache kommunizieren können und dazu viel Gelegenheit haben, die aber über ein ziemlich niedriges Niveau nie hinausgekommen sind? Natürlich gibt es die, und nicht zu selten; was jedenfalls zeigt, dass viel sprechen nicht alles sein kann.

Ich habe oft mit Deutschlernenden zu tun, die sehr wenig Kontakt zu Muttersprachlern haben. Da diesen armen Menschen ständig erzählt wird, sie müssten „viel sprechen“, sind sie davon überzeugt, nie ordentlich Deutsch lernen zu können, weil sie ja niemanden zum viel Sprechen haben.

Versuchen wir deshalb eine praktische Widerlegung dieser fatalen Überzeugung. Lesen Sie folgenden Satz:

Ich würde gerne mit Frau Müller sprechen.

Sind Sie imstande, diesen Satz auswendig zu lernen? Dann kommen wir zu Teil 2 unseres Experiments. Sprechen Sie jetzt den auswendig gelernten Satz laut. Hat alles geklappt? Gut. Also ist es offenbar nicht nötig, den Satz mindestens einmal ins Handy zu sprechen, wenn man gerade Frau Müller braucht. Man kann ihn auch so, ohne Realkontext, lernen, auch sprechen lernen; was wir ja auch im Unterricht ständig machen.

Aber war es überhaupt nötig, den Satz auszusprechen? Hätte man ihn nicht still lernen und nur „im Geist“ formulieren können? Und warum sollte das nicht möglich sein? Wir tun dasselbe ja immer, wenn wir schreiben.

Und was für einen Satz gilt, kann das nicht für zehn, hundert oder zehntausend andere gelten?

Die Aufforderung, „viel zu sprechen“, hat ihre Berechtigung, wenn sie angemessen präzisiert wird. Aber man muss heute wirklich wieder daran erinnern, dass man eine Sprache auch alleine lernen kann, sogar ohne ein einziges Mal den Mund aufzumachen. Der beliebte Vergleich mit dem Schwimmen, das man nur im Wasser lernt, stimmt nicht. Eine Sprache kann man sehr gut „an Land“ lernen. Vielleicht sind dann die ersten Aktivitäten im Medium realer Kommunikation etwas unbeholfen, aber das wird nicht lange dauern.

Meine Hauptabsicht war, auf den Schaden hinzuweisen, den die Behauptung anrichten kann, dass man nur mit „viel sprechen“ eine Sprache ordentlich lernen kann. Über die (ziemlich vielen) Details kann man sich dann bei anderer Gelegenheit unterhalten.



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