Wie denken die Deutschen heute über Hitler?
Als ich vor einigen Jahren in der VR China arbeitete, habe ich eine junge Chinesin kennengelernt, die für Korea schwärmte. I’m very fond of Corea, sagte sie, woraufhin ich eine Frage stellte, die meiner Gesprächspartnerin ziemlich seltsam erschienen sein muss. Ihnen aber, die Sie über junge Chinesen von heute so wenig wissen wie ich damals, vielleicht nicht. Oder hätten Sie gewusst, welcher der beiden koreanischen Staaten gemeint war? Nämlich?
Die Republik Korea natürlich (die wir zum Ärger der Koreaner gerne einfach Südkorea nennen). Der Norden dagegen (die Volksrepublik) ist für junge Chinesen genauso Steinzeit wie für uns und kommt als Objekt der Bewunderung nicht in Betracht. Meine Frage Welches Korea? bewies also große Unvertrautheit mit den Verhältnissen im Land, oder genauer: mit Einstellungen der Menschen, die ja auf Werten beruhen.
Natürlich habe auch ich schon oft Fragen von Ausländern gehört, die große Orientierungslosigkeit in den deutschen Verhältnissen verrieten. Ein besonderes Problem scheint die Sache mit Hitler zu sein. Welche Reputation hat der heute in Deutschland? Gilt er in erster Linie als Tyrann, Zerstörer, Massenmörder, als ein Feind der Deutschen sozusagen? Oder vielleicht doch, und trotz allem, als ein bedeutender Mann, vielleicht sogar ein Held …?
Nazis sind pfui.
Die Frage ist nicht in einem Satz zu beantworten, aber folgender Hinweis gibt Ihnen Orientierung für den Lebensalltag. Wenn ein Deutscher offen Sympathien für Hitler äußert, ist er ein Rechtsradikaler, ein Nazi, und gehört einer ziemlich kleinen Minderheit von Leuten an, mit denen anständige Menschen nichts zu tun haben wollen. Es gibt daneben Menschen, die nicht alles schlecht finden, was Hitler getan hat (Autobahnen bauen z.B.), die aber im Grunde genauso blöd oder ekelhaft sind und die man sich auch nicht zu Freunden erwählen sollte. Und das ist nicht meine isolierte Privatmeinung, sondern die der allermeisten Menschen in Deutschland. (Inshallah. In Umfragen kommt immer ein Anteil zwischen 10 und 20% Menschen mit „nationalsozialistischem Weltbild“ heraus.)
Damit haben Sie eine Vorstellung davon, was Hitler im Urteil der großen Mehrheit der Deutschen darstellt. Nun hat man aber bei Fragen von Ausländern zum Thema Hitler oft das Gefühl, dass die Fragenden nicht nur wissen wollen, wie die Deutschen zu ihm stehen, sondern wie sie selbst sich zu ihm stellen sollen. Aber ist es nicht befremdlich, dass Menschen, die wissen, dass Hitler verantwortlich für den größten Massenmord der Geschichte ist, solche Zweifel haben können? Reicht die bloße Tatsache des Holocausts nicht für ein eigenständiges Urteil über den Hauptverantwortlichen aus?
Sicher folgen die verunsicherten Fragenden einer weithin akzeptierten Maxime, wonach die „Deutungshoheit“ für das Geschehen in einer Kulturgemeinschaft bei deren Angehörigen verbleibt. Nur diese können Ereignisse der eigenen Geschichte angemessen beurteilen. Man muss also als Außenstehender den jeweiligen „kulturellen Kontext“ berücksichtigen, um zu einem fairen Urteil zu gelangen. Es gibt dagegen keinen höheren Standpunkt, von dem aus man unabhängig von den Wertsetzungen innerhalb der Kultur über Gut und Böse entscheiden könnte.
Natürlich ist das eine sehr problematische Einstellung. Und im speziellen Fall von Hitler und Nazideutschland/-österreich gibt es auch einen besonders gut dokumentierten „höheren Standpunkt“. Er hat z.B. in den Kriegsverbrecherprozessen in Nürnberg institutionelle Gestalt angenommen; dort saß ja die Welt über die Nazis zu Gericht und musste sich also an überkulturellen ethischen Normen orientieren. Und er ist durch die Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948, die in der Präambel auf die Naziverbrechen anspielt, bezeichnet.
Aber dass doch so viele Menschen sich zu diesem Standpunkt nicht aufschwingen können, zeigt, wie weit die Menschheit noch – von der Menschheit entfernt ist.
Seien Sie selbstbewusst in Ihrem Urteil. Mörder, das wissen alle Menschen, sind keine Helden. Und Nazis sind Mörder.